ASIEN Süß-Sauer: ‚Inspiring People‘ Sirikan Charoensiri – Thailands Zivilgesellschaft vor Gericht

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Charoensiri 2015, nachdem ihre Fingerabdrücke genommen wurden.

Thailands Zivilgesellschaft hat dieser Tage einen schweren Stand. AktivistInnen fordern die Demokratie zurück, fordern ein Ende der politischen Bevormundung durch Militär und Königshaus – und die Wahrung ihrer grundlegenden Menschenrechte. Nicht selten werden sie dafür verhaftet.

Am 22. Mai 2014 übernahm das thailändische Militär in einem unblutigen Putsch die Regierungsgewalt und löste das demokratisch gewählte Parlament auf; im Zuge dessen wurde ein Militärrat, das National Council for Peace and Order (NCPO), mit Vollmachten ausgestattet, welcher bis zu einer – eigentlich für 2016 angesetzten, dann aber auf frühestens 2018 vertagten – Verfassungsreform die politischen Geschicke des Landes lenkt. Der Vorsitzende des NCPO, Prayuth Chan-o-cha (Ex-Militär und konservativer Königstreuer), verhängte umgehend den Ausnahmezustand und erließ eine Interrims-Verfassung, die unter anderem „Versammlungen zu politischen Zwecken“, aber auch Kritik an der NCPO, an Chan-o-cha selbst oder an dem Verfassungsentwurf unter Strafe stellte. Eigens für diese Fälle wurden Militärgerichte eingesetzt, die auch gegen Zivilisten tagen.

„Ich wusste, Menschen würden Beistand benötigen.“

Kurz nach dem Militärputsch gründete Sirikan Charoensiri, eine thailändische Anwältin, zusammen mit Kollegen die Vereinigung Thail Lawyers for Human Rights (TLHR), mit dem Ziel, Menschen, die unter dem Ausnahmezustand verhaftet und angeklagt wurden kostenlose Rechtsberatung zur Verfügung zu stellen und sie gegebenenfalls auch zu verteidigen: „Ich wusste, Menschen würden rechtlichen Beistand benötigen. Also gründeten wir TLHR“, so Charoensiri.

Und die Zahlen geben ihr Recht: Seit Mai 2014 hat sich die Zahl der Anklagen wegen Majestätsbeleidigung verdreifacht; die Zahl derer, die seit 2014 dafür inhaftiert wurden, hat sich gar verachtfacht. Unter der NCPO ist Paragraph 112, der Majestätsbeleidigung in Thailand unter Strafe stellt, zu einem Instrument geworden, um jedwede unliebsame Stimme zum Schweigen zu bringen. Kritik am Militär und Kritik am Verfassungsentwurf werden gleichgesetzt mit Kritik am Königshaus. Es scheint, als sei die dreifache Staatsdoktrin von König, Buddhismus, und Thainess entscheidend erweitert worden. Inzwischen gilt: König und Militär, Buddhismus und Thainess.

Am 26. Juni 2015 sollte Sirikan Charoensiri, zusammen mit einigen Kollegen der TLHR, eine Gruppe von StudentInnen vertreten, die am selben Tag verhaftet worden waren. Die Studierenden, 14 an der Zahl, sind Mitglieder der 2014 gegründeten studentischen Gruppierung New Democracy Movement (NDM), die seit ihrer Entstehung wiederholt zu friedlichen Zusammenkünften aufgerufen hatte, um durch gewaltlosen Widerstand gegen die Militärdiktatur zu protestieren. Am 22. Mai 2015, zum ersten Jahrestag des Putsches, organisierte NDM eine Gedenkveranstaltung, die von Ordnungskräften aufgelöst wurde. Die beteiligten Mitglieder wurden verhaftet, jedoch kurze Zeit später wieder freigelassen.

„Und ich fragte mich: Bin ich bereit, eine Menschenrechtsanwältin zu sein?“

Kaum einen Monat später wurden sie erneut in einer groß angelegten Razzia verhaftet, der Volksverhetzung und der illegalen politischen Zusammenkunft angeklagt und vor ein Militärgericht gestellt. Charoensiri beriet sich vor der Fahrt zum Gefängnis mit ihren Klienten und begleitete sie; Misshandlung und Folter sind bei polizeilichen Verhören in Thailand längst keine Seltenheit mehr. Auf der Polizeistation angekommen, sollte Charoensiri einer (willkürlichen) Durchsuchung ihres Wagens zustimmen, gegen die sie sich zunächst weigerte. Ihr war bewusst, dass sich dort die Mobiltelefone ihrer Klienten, wie auch vertrauliche Akten zu anderen Fällen befanden: „Ich erklärte, ich würde Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch stellen. Der Stationsdirektor entgegnete, man würde mich im Gegenzug mit einer Vielzahl von Gegenklagen überziehen – und ich fragte mich: Bin ich bereit, eine Menschenrechtsanwältin zu sein?“ Die Durchsuchung ihres Wagens wurde schließlich während ihres Aufenthalts auf der Polizeistation durchgeführt. Ohne ihr Einverständnis.

Die Verteidigung der Mitglieder von DM sollte Charoensiris erste Verdeitigung für TLHR werden. Doch seit 2014 wird immer klarer, dass die Verflechtung von Militär und Polizeit für die thailändische Zivilgesellschaft ein lange nicht mehr dagewesenenes Maß an Repression bedeutet. Sirikan Charoensiri wurde im Mai und Oktober 2016 der Volksverhetzung, der Anstriftung zur illegalen politischen Versammlung und der Beweisvereitelung angeklagt. Zudem erhielt sie auf ihre Beschwerde hin eine Anzeige wegen falscher Verdächtigung. Ihr, der Rechtsanwältin, werden nun unter anderem die Dinge vorgeworfen, die auch ihren Klienten vorgeworfen werden. Sollten diese Anklagen vor einem Militärgericht verhandelt werden, so drohen der 29-Jährigen bis zu 15 Jahre Haft.

Der Fall Sirikan Charoensiri ist beispielhaft für Thailands demokratischen Rückschritt

Doch auch andere AktivistInnen, die in den Augen des Militärs der NDM zu nahe stehen oder ein zu positives Licht auf sie werfen, sind Zeugnis der massiven zivilgesellschaftlichen Unterdrückung: Baramee Chaiyarat, Vorstandsmitglied bei Amnesty International Thailand wurde für seine Berichterstattung und Unterstützung von NDM ebenfalls der Volksverhetzung angeklagt. Im Juli 2016 wurde ein Journalist, der ein Portrait über NDM anfertigen wollte und mit der Gruppe gesehen wurde, für kurze Zeit verhaftet.

Indes gibt Sirikan Charoensiri ihre Zivilcourage und ihre Hoffnung auf eine Rückkehr Thailands zur Demokratie nicht auf: „Ich bin nicht entmutigt. Wenn ich die Prinzipien verwerfe, die ich vertrete – was würden meine Klienten von mir denken? Und wer würde sie dann vertreten?“ Derzeit darf sich die Menschenrechtsanwältin frei bewegen, spricht für Organisationen wie FORUM ASIA und TLHR auf internationalen Konferenzen. Im Mai dieses Jahres wird ihr der niederländische Lawyers for Lawyers-Preis verliehen für ihren „unterschütterlichen Mut und ihren rückhaltlosen Einsatz“. Und für die Tatsache, dass sie „die Aufmerksamkeit auf die derzeitige Menschenrechtssituation in Thailand lenkt, die im Westen relativ unbekannt ist.“

Ihr Fall ist geradezu beispielhaft für die demokratischen Rückschritte, die Thailand seit 2014 gemacht hat – und in gleicher Weise ein Beispiel für die Ausdauer der thailändischen Zivilgesellschaft.

Manuel Navarrete Torres

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