Indonesien: Zwei Jahre Haft für Blasphemie

Gott vergibt, die Justiz in Indonesien aber nicht

 

Harte Zeiten für ethnische und religiöse Minderheiten in Indonesien: am Dienstag ist der Gouverneur Jakartas, Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Der Grund: er soll sich laut Richterurteil der Gotteslästerung schuldig gemacht haben. Während des Wahlkampfes zur Wiederwahl als Gouverneur Jakartas hatte Ahok, der chinesischen Migrationshintergrund hat und Christ ist, im vergangenen September auf eine Sure (al-Maidah 5:51) im Koran verwiesen, die von seinen Gegner*innen zitiert worden war, da sie laut ihnen nicht erlaube, für einen Nicht-Muslim zu stimmen. Darauf Bezug nehmend erklärte er: „Insgeheim, meine Damen und Herren, denken Sie vielleicht, dass Sie mich nicht wählen können, weil Sie von dem Gebrauch der Sure al-Maidah 5:51 belogen worden sind […] Also, wenn Sie nicht für mich stimmen können, weil Sie Angst haben müssen, in die Hölle verdammt zu werden, fühlen Sie sich nicht unsicher. Sie werden hereingelegt. Es ist in Ordnung.“ Er hatte somit lediglich die missbräuchliche Verwendung von Koranversen durch seine politischen Gegner kritisiert.

Ahok, der erste nicht-muslimische Gouverneur Jakartas seit 50 Jahren und der erste mit chinesischen Wurzeln in dem mehrheitlich muslimischen Inselstaat Südostasiens, wurde in diesem Zusammenhang vor allem Opfer radikaler muslimischer Gruppierungen, wie der Front Pembela Islam (FPI, Front zur Verteidigung des Islam) und der direkten und bewussten Streuung von fake news. So geriet ein editiertes Video in Umlauf, das den Anschein erweckte, als ob Ahok den Koran direkt kritisiere und nicht etwa die Instrumentalisierung durch radikale Gruppen. Die Tatsache, dass dieses Video weniger eine Aufzeichnung seiner Rede als ein politischer Molotowcocktail war, trat in den Hintergrund, als sich in den vergangenen Monaten hunderttausende Demonstranten auf den Straßen Jakartas zusammenfanden, um für Ahoks Strafverfolgung zu protestieren. Die Mischung aus Nicht-Muslim, vermeintlicher Kritik am Koran und ethnischer Andersartigkeit bot seinen Rivalen somit eine perfekte Grundlage, um die Stimmung gegen ihn anzuheizen. Die Ausschreitungen gegen Nicht-Muslime und die chinesische Minderheit im Land weckt dabei Erinnerungen an vergangene Zeiten (1965, 1998), in denen anti-chinesische Pogrome passiert waren.

Gründe für die derzeitige politische und gesellschaftliche Situation ist unter anderem in ökonomischer Ungleichheit begründet – die vor allem in einer Megacity wie Jakarta spürbar ist. Allein am Stadtbild ist die soziale Ungleichheit erkennbar, denn während die Mittelschicht Sicherheit und einen angemessenen Lifestyle in sogenannten gated communities sucht, sammelt sich die Unterschicht in kampungs (Siedlungen mit dorfähnlichen Strukturen) im Norden des urbanen Raums, in Sichtweite zu luxuriösen Appartements.

Wie auch im Rest der Welt nährt sich Populismus aus der Angst vor ökonomischer Unsicherheit und kulturellen und sozialen Spannungen, ganz wie ein Blutegel sich am Blut seiner Opfer labt. Während sich Ahoks neoliberales Programm eher an die aufstrebende Mittelschicht schmiegte, fanden seine Rivalen in den ökonomisch schwachen Schichten Anklang, die Heterogenität präferieren und „elitären Pluralismus“ ablehnen.

Die Gouverneurswahl am 19.April verlor Ahok im Übrigen bereits gegen seinen Gegner Anies Baswedan, der zwar nicht als muslimischer Fundamentalist gilt, sich aber bereits gemeinsam mit dem Leiter der FPI beim Gebet ablichten ließ.

Blasphemie kann in Indonesien mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, allerdings wurde der Paragraph nur selten angewendet. Menschenrechtsgruppen kritisieren allerdings, dass er seit einigen Jahren zur Verfolgung von Minderheiten missbraucht werde. Interessant ist überdies, dass das Gericht sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinausging. Diese hatte eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren gefordert. Der vorsitzende Richter begründete dies damit, dass Ahok sich „nicht schuldig gefühlt“ habe. Mit seiner Tat habe er „Angst geschürt und Muslime verletzt“.

 

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Kathrin Spenna

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